

Ein Bericht von Hebamme Christina Elisabeth Piller, BSc. Ich schreibe diese Zeilen völlig wertfrei und ohne jeglichen Bezug auf eine spezifische Situation, sondern versuche allgemein zu beschreiben. Achtung: Triggerwarnung!
In Österreich gab es im Jahr 2018 ca 85.000 Geburten, davon geschätzte 20.000 Fehlgeburten! 20.000! Jede vierte Schwangerschaft hat ein unglückliches Ende. Jede vierte! Wie kann ein so gesellschaftlich wichtiges Thema, das uns alle angeht so verschwiegen werden. Warum lerne ich als Frau (oder auch als Mann) davon nichts in der Schule? Warum lerne ich von der Fortpflanzung von Fröschen, aber nicht von meiner eigenen?
Die ersten Zeilen dieses Artikels liegen schon ewig bei mir am Desktop und nie habe ich mich dazu aufgerafft ihn fertig zu schreiben. Manchmal dachte ich, dass es mir nicht zusteht darüber zu schreiben. Andererseits finde ich, dass darüber zu wenig geschrieben wird. In gewisser Weise wird es sogar tabuisiert, also tu‘ ich es.
Ich habe bemerkt, dass viele junge Frauen in meinem Umfeld jetzt in dem Alter sind, in dem das Kinderkriegen aktuell wird. Alle berichten von Schwangerschaften, manche geplagt von Schwangerschaftsbeschwerden, andere davon verschont. Sie sprechen von ihren Geburten, von den gesunden Kindern und den glücklichen und müden Eltern. Aber niemand spricht von den Kindern, die nicht lebend auf die Welt kommen. Niemand spricht mit ihnen über die Fehlgeburt. Oftmals nicht einmal die eigene Mutter, die ein oder mehrere Kinder während der Schwangerschaft “verloren” hat. Meine Freundinnen und Bekannten hören meine mittlerweile häufigen Aufklärungsversuche diesbezüglich wahrscheinlich nur mehr mit einem Ohr. Doch ich werde nicht müde dies zu thematisieren und damit hoffentlich zu enttabuisieren.
Aufklären, Beistand leisten und vor allem darüber sprechen
Als Hebamme an der Uniklinik bin ich fast jeden Dienst mit dem Tod eines ungeborenen Kindes konfrontiert, trotzdem ist dies wahrlich keine “Alltäglichkeit” für mich. Um diese Frauen und ihre Partner oder Partnerinnen zu betreuen benötigte ich anfangs etwas Mut. Was sag‘ ich am besten, was sag‘ ich nicht; was tu‘ ich am besten, was tu‘ ich lieber nicht? Routine in der Betreuung findet man niemals, jede Geschichte ist einzigartig in ihrem Dasein, jede Familiensituation anders, die Bedürfnisse sind ganz unterschiedlich.
Manche Frauen/ Paare hatten jahrelangen Kinderwunsch und es hat wieder nicht geklappt, für manche Frauen ist es der Verlust der ersten Schwangerschaft andere mussten das schon mehrmals durchleben. Die Reaktionen der Paare sind anfänglich ganz verschieden.
Es gibt viele Themen, die in der Gesellschaft tabuisiert werden. Durch meinen Beruf, aber mittlerweile auch aus meinem Umfeld kenne ich viele Frauen und deren Familien, die mit dem intrauterinen Tod ihres Kindes umzugehen lernen mussten. Dieser Schicksalsschlag trifft einen meist sehr „überraschend“. Denn: es wird ja nicht darüber aufgeklärt wie häufig dies eigentlich passiert.
Ich möchte mit diesem Artikel Bewusstsein schaffen.
Bewusstsein dafür, dass jede Frau und jedes Paar ihre Verarbeitungsstrategie völlig selbst wählt.
Frauen trifft keine Schuld!
Es gibt Hebammenbetreuung, Unterstützungsmöglichkeiten von Vereinen und Organisationen und Selbsthilfegruppen. Es gibt auch viel Literatur hierzu und Psychologinnen, die darauf spezialisiert sind.
Ich möchte alle Frauen wissen lassen, dass es niemals ihre Schuld ist! Ich möchte Bewusstsein dafür schaffen, dass jede Frau und jedes Paar ihre eigene Zeit braucht, um dies zu verarbeiten, dass niemand darüber sprechen muss, aber dass es gut tut wenn jemand zuhört. Und diese Zuhörer/innen sollten wir alle sein, Hebammen, Ärzte und Ärztinnen, anderes medizinisches Personal, die Familie, Freunde und Freundinnen, Nachbarn und Nachbarinnen, Bekannte und jede weitere Person, die wahrscheinlich sorgfältig auserwählt wurde Zuhörer/in zu sein.
Fehlgeburten dürfen kein Tabu sein! Sternenkinder dürfen kein Tabu sein!
Christina Elisabeth Piller, BSc./ Hebamme / Midwife